Ein neuer Beruf in der Prävention

Justine Passemard Koegele hat ihren Spitalkittel in der Garderobe hängen lassen, um als «Gesundheitskoordinatorin» im Berner Jura zu arbeiten.

Bild: Mauro Mellone

Gesundheitskoordinatorin? Wenn man diesen Suchbegriff auf einer Stellenplattform eingibt, findet man unterschiedlichste Stellenangebote – häufig ausserhalb des Gesundheitsbereichs. In Tavannes, im Berner Jura, ist es etwas ganz anderes: «Es handelt sich um einen neuen und noch einzigartigen Beruf in der Schweiz, der seit fünfzehn Monaten vom Réseau de l’Arc im Rahmen des Versicherungsmodells VIVA angeboten wird», sagt Justine Passemard Koegele.

Die 38-jährige Pflegefachfrau französischer Herkunft wurde im Rahmen eines Pionierprojekts angestellt, das von der Privatklinikgruppe Swiss Medical Network, dem Versicherer Visana und dem Kanton Bern entwickelt wurde. Vorbeugen ist besser als heilen, sagt das bestens bekannte Sprichwort. Unter dem Namen VIVA setzen diese Gesundheitsakteure das Sprichwort in die Realität um, indem sie einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen vollziehen.

 Anstatt sich um seine Kundinnen und Kunden zu kümmern, wenn sie erkranken, will das Réseau de l’Arc ihre Gesundheit erhalten. Anfang Jahr erhalten die VIVA-Kunden jeweils einen Fragebogen, den sie via die VIVA-Health-App ausfüllen können. Auf dieser Grundlage erarbeiten sechs Gesundheitskoordinatoren des Netzwerks einen Gesundheitsplan, der sich auf anerkannte Empfehlungen im Bereich Prävention sowie auf die eigenen Guidelines des Netzwerks abstützt. Dabei werden der familiäre Hintergrund und der Lebensstil erhoben mit Fragen, die von der körperlichen Aktivität bis zum Alkohol-, Tabak- oder sogar Drogenkonsum reichen. Es wird alles unternommen,um das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu minimieren. Krebsvorsorgeuntersuchungen, die Messung des Cholesterinspiegels, des Blutdrucks und des BodyMass-Indexes: Nichts wird dem Zufall überlassen.

Hiermit setzt das Projekt neue Massstäbe. Die Gesundheitskoordinatoren des Réseau de l’Arc nehmen mit allen Kundinnen und Kunden Kontakt auf – auch wenn es diesen blendend geht –, um ihren Gesundheitsplan zu besprechen und ihnen eine kostenlose Konsultation bei ihrem behandelnden Arzt anzubieten. «Die Mehrheit der Leute reagiert positiv auf diese Präventionsmassnahme», sagt Justine Passemard Koegele. «Diejenigen, die das Angebot ablehnen, sind der Meinung, dass sie ihre Gesundheit selber managen können, was wir selbstverständlich respektieren.»

Für die Gesundheitskoordinatorin des Réseau de l’Arc erhält damit der Beruf der Pflegefachfrau eine ganz neue Dimension. Neben den beruflichen Kompetenzen, die während der Ausbildung erworben werden, sind weitere Eigenschaften ebenso wichtig – etwa die Fähigkeit, zuzuhören und Empathie zu zeigen. «Ich nehme die Informationen, die ich von den Kunden erhalte, stets mit Wohlwollen und einer neutralen Haltung entgegen. Es ist nicht an mir, über die Personen zu urteilen. Ich versuche, sie zu verstehen und ihre Gesundheit als Ganzes zu analysieren und etwa festzustellen, ob einem Suchtverhalten andere Probleme zugrunde liegen», hält Justine Passemard Koegele fest.

Die ersten Erfahrungen sind ermutigend. Manchmal geschieht sogar ein kleines Wunder. «Wir haben einen Mann, der mit grossen familiären Problemen zu kämpfen hatte, zu viel ass und zu viel Alkohol trank, an die psychiatrische Abteilung im Spital Moutier überwiesen. Schon nach einigen Monaten haben wir sehr positive Veränderungen in seinem Lebensstil feststellen können», erzählt die Pflegefachfrau.

Mit den 25 Institutionen, die zum Réseau de l’Arc gehören, kann es seine Kundinnen und Kunden bei Bedarf an Spezialisten verweisen, wie beispielsweise Ernährungsberaterinnen oder Psychologen. Das Réseau verfügt sogar über eine «Pflegefachfrau für Tabakberatung», die auf Sucht spezialisiert ist, die also den Raucherinnen und Rauchern eine adäquate Begleitung bis zum Tabakstopp bieten kann.

Ein Pionierprojekt


«VIVA» ist ein Pionierprojekt der integrierten Versorgung, mit dem Ziel, die steigenden Gesundheitskosten einzudämmen. Mit dem Swiss Medical Network und dem Krankenversicherer Visana als Hauptträgern bietet es allen VIVA-Kunden einen Gesundheitsplan an, auch wenn sie bei bester Gesundheit sind. Das Netzwerk wurde 2024 im Berner Jura, im Kanton Jura und in den Neuenburger Bergen unter dem Namen Réseau de l’Arc gegründet. Seit dem Start hat es seine Kundenzahl verdoppelt – auch dank attraktiver Krankenkassenprämien, die im vergangenen Jahr nicht erhöht werden mussten. Dieses Jahr wurde das Modell auf den Kanton Tessin (Rete Sant’Anna) ausgeweitet und wird nächstes Jahr neu auch im Kanton Aargau angeboten.

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